Allgemeine Informationen
Die Ossenreyerstraße 1 oder auch das Olthofsche Palais liegt neben der Tourismuszentrale am Alten Markt. Mit dem Rathaus bildet es den Eingang in die Ossenreyerstraße – die Einkaufsstraße der Altstadt. Das rote Haus ist berühmt für den Hackertschen Tapetensaal im ersten der zwei Obergeschosse. Jakob P. Hackert hat den Raum zu dem bedeutendsten Kunstwerk des Klassizismus in der gesamten Hansestadt verholfen.
Das vierachsige Traufenhaus hatte früher die Postadresse “Am Alten Markt 2”‘ und ist im Zuge einer Umstrukturierung 1869 in ”Ossenreyerstraße 1” umbenannt worden. Das Haus steht als Beispiel für eine Kaufmannsfamilie zu Beginn des 18. Jahrhunderts.
Geschichte des Hauses
Das Gebäude, welches heute an dieser Stelle steht, hat zwei Vorgänger, wie man am Staudeplan von 1647 deutlich erkennen kann. Ein breiteres und ein schmaleres Giebelhaus standen dort. Diese Häuser wurden im Stadtbrand von 1680 zerstört, so wie ca. 230 weitere Gebäude. Der einheimische Kaufmann Daniel Schloman, dem bereits eines der vorherigen Häuser gehörte, ließ das Haus 1691/92 wiedererrichten. Jedoch wurde aus dem Giebelhaus ein vierachsiges Traufenhaus, weil dies zur Schwedenzeit üblicher war. Für den Wiederaufbau nach den Bränden stellte die schwedische Regierung Geld (Florin) bereit und so bekam 1691 auch Schloman 250 Florin für den Wiederaufbau seines Hauses zur Verfügung gestellt.
1760 erwarb der Kaufmann Adolf Friedrich von Olthof, schwedisch-pommerscher Regierungsrat, das Haus am Alten Markt 2. Er war ein reicher und einflussreicher Mann, der 1762 auch das Herrenhaus Boldevitz (Rügen) kaufte.
Zur gleichen Zeit nahm der Kaufmann den Maler Jakob P. Hackert bei sich auf und lies ihn einen Saal im ersten Obergeschoss ausgestalten. Hackert malte auf Tapeten, die an drei der vier Wänden angebracht sind. An der vierten Wand befinden sich drei Fenster zum Innenhof. Vier der fünf Tapeten zeigen realistische Landschaften in Dresden und der Sächsischen Schweiz. Auf der Fünften ist eine Ideallandschaft mit antikem Tempel abgebildet. Die Landschaften werden jeweils von antiken Säulen eingerahmt. Der Ofen, an der Ostseite, ist nachweislich erst um das Jahr 1900 eingebaut worden. Auf dem Boden ist eine optische Illusion wie eine Art Becken zu sehen. Diese Malerei wurde aber wenige Jahre nach ihrer Fertigstellung mit einem Großtafelparkett überdeckt. Besonders bedeutend sind bei den Tapeten die Perspektiven bzw. die Anordnung der Bildgegenstände. Erstaunlich ist auch, dass Hackert nie selbst in Sachsen war um die Orte, die er gemalt hatte, selbst zu besuchen. Er musste von Erzählungen oder Bildern die Landschaften gemalt haben. Man vermutet, dass ein sächsischer Hofmeister, der zur gleichen Zeit wie Hackert bei Olthof wohnte, ihm Ortskenntnisse und möglicherwise Bildnisse mitbrachte. Auch im Gutshaus Boldevitz war er tätig. Dort verarbeitete er u.a. Landschaftsbilder von Rügen und die Silhouette Stralsunds. Anschließend zog er nach Paris um seine Karriere weiter zu verfolgen.
Da der Tapetensaal bis zu den 1920er Jahren unverändert blieb, wird sich auch nichts Wesentliches an der Architektur des Hauses geändert haben. Während der Weltwirtschaftskrise (Beginn 1929) gab es in Stralsund offenbar einen Bedarf an Wohnraum. Der Saal wurde mit Fachwerkwänden in mehrere Räume geteilt, die Decke abgehängt und die Tapeten herausgeschnitten und verkauft um ihn als Wohnung besser vermieten zu können. Die Tapeten gelangten durch das Testament des Käufers, Ludwig Justi, in den Besitz des Stralsund Museums und wurden bei der Sanierung des Hauses 1987/88 wieder an ihren ursprünglichen Ort gebracht.
Im zweiten Weltkrieg, wurde der Keller zu einem öffentlichen Luftschutzkeller ausgebaut und es erfolgte der Durchbruch der Brandmauern zu den benachbarten Grundstücken. Der amerikanische Bombenangriff auf Stralsund am 06.10.1944 beschädigte die Ossenreyerstraßen1 nur leicht an der rechten Seite der Fassade. Während das Nachbarhaus (Alter Markt 9, die heutige Tourismuszentrale) vollständig zerstört wurde. Auch als das linke Nachbarhaus (Ossenreyerstraße 2) in den 1970er Jahren brannte, kam das Olthofsche Palais ohne Brandschaden davon. Die Löscharbeiten hatten zu Folge, dass das Haus 1976 wegen Schwammbefall komplett gesperrt wurde. Erst die umfassende Sanierung im Jahre 1988 in legte den Tapetensaal frei und machte das Haus wieder nutzbar. Am 7. Oktober 1988 zog die Kinderbibliothek in das Erdgeschoss ein. Jedoch musste eine weitere Sanierung aufgrund der Verwendung eines gesundheitschädlichen Holzschutzmittels durchgeführt werden. Dabei wurde zusätzlich, um die Barrierefreiheit zu gewährleisten, ein Aufzug im Innenhof gebaut, der mit einem Glasgang mit dem ersten Obergeschoss verbunden ist. Am 3. Juni 2011 eröffnete die Welterbe-Austellung Stralsund — Wismar in den unteren Räumen.
Historischer Kontext
Im Westfälischen Frieden (1648), der nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) unterzeichnet wurde, ist festgehalten, dass Vorpommern fortan zu Schweden gehörte. Somit stand die Stadt Stralsund unter schwedischer Herrschaft bis zum Wiener Kongress 1815. Nur mit einer kurzen Unterbrechung von 1715-1720 wo es unter Dänischer Herrschaft im Zuge des Nordischen Krieges stand. In Stralsund nennt man diese Zeit deshalb Schwedenzeit.
Sie brachte einen Transfer von Gelehrten, den Handel von Waren im Zuge der Hanse und viel Fortschritt durch Austausch mit. Zum Beispiel stammten der Architekt Nicodemus Tessin und der Naturwissenschaftler Carl W. Scheele aus Stralsund und gingen nach Schweden um dort zu studieren und zu arbeiten. Außerdem vermaß die schwedische Regierung die Stadt das erste Mal und erstellt den Staudeplan. Auch die Häuser nahmen sie in der “Schwedischen Landesaufnahme von Vorpommern, 1692-1709“ auf um somit die Steuerklassen unterscheiden zu können. Die Stralsunder selbst betrachteten die Zeit aber eher als Rückschlag in ihrer Geschichte und ihren Bemühungen eine unabhängige Stadt zu sein. Die Bürger mussten nun neue Steuern zahlen und waren verpflichtet an der Verstärkung der Verteidigungsanlagen mitzubauen.
Auch die Architektur in Stralsund veränderte sich maßgeblich unter schwedischer Krone. Viele ehemalige Giebelhäuser wurden nach den zwei Stadtbränden 1678 und 1680 in Traufenhäuser umgebaut bzw. neu errichtet. Das Gebäude, welches sich heute in der Ossenreyerstraße 1 befindet wurde unmittelbar nach den beiden Stadtbränden erbaut, dessen Ausmaß an Schaden heute schwer zu schätzen ist. Wie A. Grabinsky in ihrer Arbeit “Die Stralsunder Doppelkatastrophe von 1678/80“ schreibt, wurden rund 332 von 569 Häusern, 597 von 1041 Buden und 286 von 509 Kellern zerstört.
Die Einteilung in Häuser, Buden und Keller wurde durch die schwedische Regierung unternommen um die Steuerklassen entsprechend anzupassen, wobei in den Häusern die Reichsten und in den Kellern die Ärmsten wohnten. Wie viele Menschen bei den Feuern ums Leben gekommen sind ist schwer einzuschätzen, man weiß aber, dass die Bürgerrechtsbewerbungen, Eheschließungen und Taufen kurzzeitig zurück gingen, was auf ein Absinken der Einwohnerzahl hindeutet. Die Einwohnerzahl muss aber zwischen 7.000 und 8.000 gelegen haben, was die Zählungen aus dem Jahre 1677 und 1706 belegen. Die meisten Bürger die Schaden erlitten hatten, blieben in der Stadt und bauten sich ihr Haus oder an anderer Stelle ein neues Haus wieder auf. Manche Reicheren mieteten sich auch im Kloster, als Zwischenunterkunft, ein. Ob Daniel Schloman dies gemacht hat ist nicht zu belegen.
Leben in der Ossenreyerstraße 1
Um die Lebenssituation und den Stand in der Gesellschaft der damaligen Bewohner zu verstehen, kann man sich zuerst die Lage des Hauses genauer angucken. Das Olthofsche Palais liegt direkt im Stadtzentrum am Alten Markt – eine, auch heute noch, teure Gegend. Wer so nah am Rathaus wohnte, musste reich sein. Das Haus war also ein Bürgerhaus in dem Kaufleute wohnten. Kaufmänner gehörten, aufgrund der guten Handelsbeziehungen durch die Hanse, mit zu den reichsten Bürgern der Stadt.
Vom Erbauer des Hauses Daniel Schloman wissen wir, dass er 1676 das Bürgerrecht erworben hatte. Ernst Uhsemann schrieb 1925 zum Bürgerrecht, nach lübischem Recht, Folgendes:
„Das Bürgerrecht erfüllte seine Inhaber mit erklärlichem Stolze.
Sie waren herausgehoben aus der großen Masse der fast rechtlosen Landbewohner; sie waren befreit von allen fürstlichen Steuern, Zöllen und Kriegsdiensten; sie fühlten sich als Miteigentümer des gesamten städtischen Vermögens; sie konnten im Auslande die einträglichen Handelsvorteile ausnutzen, die der Stadt von den nordischen Reichen, von Rußland, England und Flandern zugeführt worden waren und auf allen Reisen und bei allen Unternehmungen begleitete sie in jener gefahrenreichen Zeit die beruhigende Gewissheit, daß eine stolze und mächtige Stadt hinter ihnen stand, die versorgete, schützte und sühnte.“
Hier sieht man gut, wie viele Vorteile solches Recht mit sich brachte. Um dieses allerdings zu beantragen, musste man einen gewissen Betrag a die Stadt zahlen (wie viel genau ist heute nicht bestimmbar). Dies ist ein Hinweis darauf, dass Schloman wohlhabend war, denn er hatte das Bürgerrecht zugesprochen bekommen. Außerdem war es Notwendig Eigentümer eines Grundstückes zu sein und vor dem Stadtrat einen Eid schwören. Auch wenn die Bürger allgemein vom Kriegsdienst ausgeschlossen waren, mussten sie in Notsituationen, wie sie in Stralsund nach dem Westfälischem Frieden (1648) nicht mehr so oft vorkamen, auch für die Verteidigung der Stadt einstehen.
Ein weiterer Hinweis auf den Reichtum der Bewohner, ist natürlich der Tapetensaal. Adolf F. Olthof hatte allein aufgrund seines Berufes als Regierungsrat schon eine hohe gesellschaftliche Stellung inne. Olthof war Sohn eines schwedischen Adeligen und arbeitete eine Zeit lang als schwedischer Münzdirektor, womit er viel verdiente. Zusätzlich kaufte er 1762 ein Gutshaus auf Rügen und lies seinen persönlichen Maler (Hackert) bei sich wohnen und arbeiten. Sein Lebensstandard war damit deutlich höher, als der anderer Zeitgenossen. Als sein Einkommen als Münzdirektor wegbrach, hatte er viele Schulden und starb in Armut und wurde auf dem St.-Jürgen-Friedhof in Stralsund bestattet. Seinen eigenen Reichtum durch große Kunst und viele Verzierungen zu zeigen, war typisch für die Zeit des Barocks (ca. 1600-1720).
Die Ossenreyerstraße 1 wird heutzutage, aber eher dem Klassizismus zugeordenet, auch wenn dieser seine Blütezeit eher am Ende des 18. Jahrhunderts hatte.Im Gegensatz zum barocken Baustil, beschränkt man sich im Klassizismus eher auf einfache Formen und die Nachahmung antiker Vorbilder, siehe Säulen im Taptensaa.
Heutige Nutzung
Die letzte nachgewiesene Nutzung als Wohnung stammt aus den 1930er Jahren. Seitdem wurde das Haus nur noch kommerziell genutzt.Heute (Stand 2024) befindet sich im Erdgeschoss die Welterbe-Ausstellung Stralsunds und im 1. und 2. Obergeschoss sind die Räumlichkeiten des Amtes für Kultur, Welterbe und Medien, geleitet von Steffi Behrendt. Den Hackertschen Tapetensaal kann man in Führungen, die jede Woche stattfinden besichtigen.
Mit seiner heutigen Nutzung bleibt die Ossenreyerstraße 1 ein wichtiges Gebäude im Stadtbild, was sich durch die Auszeichnung als Baudenkmal hervorhebt. Außerdem bekam es das Koggensiegel vom Bürgerkomitee “Rettet die Altstadt Stralsund e.V.“ verliehen.
Zusammenfassung
Wenn das Haus sprechen könnte würde es vielleicht von den reichen Besitzern, ihren Familien und den Bediensteten sprechen.Oder es würde von einem Maler erzählen, der einen “normalen“ Raum in einen außergewöhnlichen, nur mit Pinsel und Farbe, verwandelt hat. Es könnte auch von den wichtigen und reichen Männern erzählen, die zwar Eigentümer waren, aber nie in dem Haus wohnten.
Text: N.M Herrmann (Klasse 11 Hansa Gymnasium)