Goldschmiede C. Stabenow – 150 Jahre Familienunternehmen in Stralsund
Wir wollen Ihnen heute von einer der ältesten Stralsunder Handwerkerfamilien erzählen. Goldschmiede C. Stabenow. Dabei wollen wir auch die Rolle der starken Frauen herausstellen, denn wenn die Stabenow-Männer ausfielen, sprangen die Ehefrauen in die Bresche!
„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!“ Natürlich freut man sich über diesen Satz, und doch überlegt man ab einem bestimmten Alter jedes Mal aufs Neue, wie alt man denn nun wird. Besonders wenn einem das tatsächliche Geburtsjahr gar nicht mehr so ganz genau vor Augen ist. Seit 1874 prangt an der Fassade des altehrwürdigen Geschäfts der Goldschmiede C. Stabenow und verleiht damit auch dem Stolz Ausdruck, welchen man bei den Arbeitenden in einem der ältesten und renommiertesten Geschäfte der Stadt Stralsund zweifelsohne verspürt.
Bereits am 23. Oktober 1873 legt der Gründervater der Dynastie, Adolph Stabenow (1839-1887), den Grundstein und veröffentlicht in der Stralsundischen Zeitung sein Inserat, in welchem er die Gründung eines neuen Geschäfts für Gold- und Silberwaren verkündet.
Als Sohn eines Schusters mit überschaubaren Mitteln und von gesundheitlichem Leiden geplagt, eröffnete er das Geschäft. A.Stabenow auf der linken Hausseite der Wasserstraße Nr. 59.
In einem der kleinsten Gebäude am unteren Ende der Stadt und auf wenigen Quadratmetern waren vorerst wenig große Sprünge zu erhoffen.
Sein jäher Tod mit 47 Jahren im Jahre 1887 ließ nun ganz das Ende vermuten. Doch seine Witwe Karoline, die mit drei Kindern zurückgeblieben war, führte das Geschäft weiter bis zu ihrem Tode 1900.
In dieser Zeit war es der junge Carl Stabenow (1876-1955), gerade erst elf Jahre alt, als sein Vater ihm entrissen wurde, der mit 14 Jahren ebenfalls das Handwerk des Goldarbeiters erlernte und nach vier Jahren Ausbildung abschloss.
Für ihn folgten Fortbildungen in Dresden und Stettin, welche mutmaßlich grundlegend sein sollten für das folgende Aufblühen des Geschäfts. Mit dem Tode seiner Mutter übernahm er, unterstützt durch seine beiden älteren Schwestern, die Firma und expandierte das erste Mal von der linken Haushälfte in die rechte. Was zum Schmunzeln anregen mag, ist nicht viel weniger als das Ergebnis rastloser Arbeit. Von nun an dauerte es keine fünf Jahre und er erwarb 1905 die Geschäftsräume des Goldschmieds R. Sommer in der Heilgeiststraße 75.
Dieses Husarenstück gelang ihm zeitgleich mit der Eröffnung einer Filiale in Putbus, welche R. Sommer bis zu seinem Tod für ihn verwaltete. Von nun an ging es Schlag auf Schlag, denn am 1. März 1908 erwarb er das Haus der Badenstraße 2 und war angekommen, wo er hinwollte – am Rathaus. Vormals beherbergte diese Adresse die Werkstatt des Hoflieferanten und Goldschmiedemeisters H. Ahrens, doch dieser verkaufte drei Jahre zuvor seinen Besitz an einen Lübecker Goldschmied, der aber über der Last der Aufgaben, die ein solches Unternehmen mit sich bringt, zusammenbrach und Konkurs anmelden musste. Dass die vormaligen Besitzer der gekauften Geschäftshäuser dies vornehmlich aus wirtschaftlicher Not taten, darf ein Hinweis auf die in Pommern noch nicht ganz verkraftete Wirtschaftskrise des vorangegangenen Jahrzehnts gewesen sein, welche Carl Stabenow offensichtlich zu meistern wusste.
Unter H. Ahrens Nachfahren Inhaber C. Stabenow wurde das Unternehmen wenige Jahre fortgeführt und bekam schlussendlich den Namen, unter dem es bis heute bekannt ist: Goldschmiede C. Stabenow.
Als Besitzer von drei Filialen legte er von nun an sein Hauptaugenmerk auf die Badenstraße und vergrößerte die Werkstatt, in der im Jahr 1913 immerhin 14 Goldschmiede ihre Arbeit leisteten. Im zweiten Jahr des 1.Weltkrieges musste aber nun auch Carl dem Ruf der Waffen an die Front folgen und leistete von 1915 bis1918 seinen Heeresdienst.
Die Arbeit blieb aber nicht liegen, denn wie in allen Krisenzeiten, die dazu führten, dass die Männer nicht vor Ort waren, waren es die Ehefrauen, die alles gaben, um den Fortbestand des Betriebes zu garantieren. Vom Gründerkrach des späten 19. Jahrhunderts, über die beiden Weltkriege, die Verstaatlichung und bis in unsere Tage selbst gab man sein Bestes, um dem Begriff Familienbetrieb alle Ehre zu erweisen.
Obwohl die Stadtverwaltung die Gold- und Silber-Ankaufstelle zur Unterstützung der kämpfenden Truppe dem Geschäft direkt gegenüber am Rathaus vorsetzte, war es die Ehefrau Carls, Friederike Stabenow, die während Massen von Stralsundern unter der Devise „Gold gab ich für Eisen“, ihre Schmuckstücke abgaben, noch Warenlager insolventer Goldschmieden aus Swinemünde und Bamberg ankaufte und feilbot. Ein reichhaltiges Warenlager zu stets günstigen Preisen war das Versprechen in einer jeden aufgegebenen Zeitungsannonce – diesem auch gerecht zu werden, war das Kunststück.
Bei seiner Heimkehr 1919 haderte Carl Stabenow nicht lang und erwarb sogleich das Geschäft seines ehemaligen Lehrmeisters A. Dettman in der Ossenreyerstraße 47, bei dem er 30 Jahre zuvor seine Ausbildung genossen hatte. Die 20er Jahre gingen mit Inflation und Deflation recht ruhig an den Stabenows vorbei. Die beiden Söhne Gerd (1905-1972) und Werner (1909-1967) begannen nach ihrer Lehrzeit dort ihre Arbeit und sollten die dritte Generation darstellen.
Man verkaufte 1928 die Filialen in Putbus und in der Ossenreyerstraße und erwarb 1930 die Badenstraße 1 hinzu. Die Geschäfte wurden zusammengeschlossen, und man ermöglichte einen großzügigen Ausbau der Verkaufsfläche. Neben den heute noch vorhandenen ausladenden Schrankwänden und Vitrinen ist es im Besonderen die breite Schaufensterfassade, welche den ersten Blickfang der Einkaufsmeile bietet und zum Verweilen einlädt.
Der Stettiner General-Anzeiger schrieb nach dem Umbau gar vom schönsten und bedeutendsten Geschäft der gesamten Ostseeküste.
Carl Stabenow soll gesagt haben, dass es sein Ziel gewesen sei, dass niemand aus Pommern die Notwendigkeit verspüren müsse, nach Berlin zu fahren, um Schmuck höchster Qualität zu kaufen. Alles, was man an Gold und Silber braucht, von Rügen bis Stettin, soll man in Stralsund bekommen.
Doch diesem Ideal tritt schicksalhaft zunächst das Jahr 1942 durch die Schließung des Verkaufsbetriebes aufgrund von Kriegsmaßnahmen entgegen. Gerd und Werner werden mit weiteren neun Angestellten in den Kriegsdienst eingezogen. Die Werkstatt wird noch gerade so mit zwei Gehilfen am Laufen gehalten. Bis zu jenem Tag, an dem in Stralsund alles Leben für einen Augenblick aussetzt und unter Sirenengeheul und lautem Knall die Gläser der Schaufenster wie Abermillionen Brillantsplitter durch die Luft schossen. Der Bombenabwurf am 6. Oktober 1944 durch die 8. US-Luftflotte trifft Stralsund tief ins Mark, das Quartier 17 wird fast vollkommen zerstört. So ist es fast ein Wunder, dass trotz schwerer Bombenschäden an Fassade und Werkstatt die beiden Gebäude der Badenstraße 1-2 dennoch aus den Trümmern hervorragen.
Mit Beendigung der Kampfhandlungen um die Stadt und dem Einmarsch der Truppen der Roten Armee am 1. Mai 1945 wird das Geschäft und sämtliches
Interieur vom Stadtkommandanten als faschistisches Eigentum beschlagnahmt. Doch auch diese Schreckensjahre halten den stetigen Fluss des Goldes nicht auf. Am 1. Juli 1945 nimmt die Werkstatt im kleinen Kontor wieder die Arbeit auf. Mit einem Gehilfen und einem Lehrling wird auf wenigen Quadratmetern wieder dem Handwerk nachgegangen, und binnen eines Monats werden die restlichen Bombenschäden an der Werkstatt beseitigt, sodass am 1. August bereits sieben Gehilfen und zwei Lehrlinge dort ihre Arbeit versehen.
Viele der dortigen Angestellten waren Geflüchtete aus den Ostgebieten und nur wenige Monate vor Ort, doch leisteten sie ihren wichtigen Beitrag zum Wiederaufbau des Geschäfts, sodass am 7. Juni 1947 die Wiederinbetriebnahme der Verkaufsräume stattfinden konnte. Die Goldschmiede wurde nun eine offene Handelsgesellschaft (OHG) unter Teilhabe der Familienmitglieder und ab dem Tode Carl Stabenows 1955 von den beiden Söhnen weitergeführt.
Ein Jahr später beginnt Claus Stabenow (*1940) seine Lehre zum Goldschmied und reiht sich mit seinem ihm im Jahr 1961 folgenden Bruder Rainer (*1945) in die vierte Generation dieser Dynastie ein. Nach abgeschlossener Berufsausbildung arbeiten sie im elterlichen Betrieb bis zum Tode ihres Vaters Gerd im Jahr 1972. Der Rat des Kreises erteilt den Brüdern keine Genehmigung zur Weiterführung des Geschäfts und es wird zwangsverstaatlicht. Im hundertsten Jahre des Bestehens des Familienunternehmens müssen Claus und Rainer dieses an die Volkseigene Handelsorganisation angliedern lassen, und die HO-Juwelier und HO-Goldschmiede werden gegründet.
Zur reinen Dienstleistungseinrichtung degradiert, nehmen die Herren in der Goldschmiede diese Schmach mit Fassung und lassen weiterhin die Ergebnisse ihrer Arbeit sprechen. Obwohl sie dem bestehenden Regime ein lästiger Dorn sind, kommt man nicht darum herum, ihre Leistungen wie die schon ihres Vaters und Großvaters mit höchsten Preisen und Ehrungen zu versehen. Allein in dieser Zeit bringen sie 30 Goldschmiede und Meister hervor, von denen heute zwei von ihnen selbst ein Gold- und Silberwarengeschäft in der Hansestadt betreiben. Da sie Silberwaren im Auftrag des Staates nur als reinen Metallwert aufkaufen und vergüten dürfen, wurde manche Silbervase oder -kanne durch Beulen und Zusammenpressen vom Kunstgut zu Altmetall degradiert.
Während 1989 der älteste Sohn von Claus, Carsten Stabenow (*1972), ebenfalls dort seine Lehre beginnt, verändert sich zum vierten Male der Staat um die Goldschmiede herum. Noch bevor im März 1990 das Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens erscheint, stellen die Brüder Stabenow im Januar einen Antrag auf Rückerlangung ihrer Geschäftsräume. Bereits im Oktober konnten nach abgeschlossenen Verträgen mit der Treuhand die Räume wieder ihren Weg zurück in den Schoß der Familie finden und wieder bezogen werden.
17 Jahre Verstaatlichung verewigten sich mit Beraubung des großflächigen Jugendstils und der Art Déco- Einrichtung des Geschäfts und mit dem Schleifen der neogotischen Prunkfassade. Doch was die DDR nicht ganz schaffte, wollte die erste Stadtverwaltung 1991 noch beenden. Während das Geschäft am 20.Oktober 1990 seine feierliche Wiedereröffnung beging (siehe Anzeige 2), verweigerte das Liegenschaftsamt, die Gebäude Badenstraße 1/2 an die Familie zurückzugeben, da man es im Zusammenhang mit dem Quartier 17 als Teil einer notwendigen städtebaulichen Neuordnung sah und an die Stadterneuerungsgesellschaft überführen wollte. Durch einen Widerspruch beim Verwaltungsgericht konnte dieses Unheil abgewendet werden. Nach einer umfangreichen Sanierung unter Leitung des Architekturbüros Klaus Mittelbach und hohen Baukosten wurden am 2. Juli 1999 mit dem vermeintlichen 125. Firmenjubiläum die Geschäftsräume wieder übernommen.
Gleich nach der Wiedereröffnung 1990 war es wie ein sich erfüllendes Versprechen der Geschichte, dass wieder die Frauen der Familie, Angelika und Brigitte Stabenow, zur Stelle waren und die Arbeit im Verkauf übernahmen (Familienfoto). In den folgenden Jahren zeichnete sich die Firma nicht nur durch die Schaffung kostbarer Kleinodien aus, sondern bemüht sich bis heute um die Belebung der Kunst in Stralsund und Umgebung, wenn sie ihren eigens dafür gestalteten Wintergarten und das Kellergewölbe für Kunstausstellungen zur Verfügung stellt.
Während Sohn Carsten sich umorientierte und ein Studium zum Diplom-Grafikdesigner aufnahm, ging die Goldschmiede 2016 in die kaufmännisch geschickten Hände des gelernten Buchhändlers Oliver Stabenow (*1977) über, welcher somit die fünfte Generation des Familienbetriebs mit zurzeit fünf Goldschmieden und vier Angestellten repräsentiert. In welche Zukunft er das Unternehmen führen und diese Familiengeschichte prägen wird, bleibt ungewiss. Die Krisen sind nicht weniger geworden, die Aufgaben erst recht nicht. Allein steht mit Blick auf die Geschichte des Unternehmens fest, dass nichts konstant bleibt, doch der Name bleibt bestehen.
Auch im gesellschaftlichen Bereich haben die Stabenows zahlreiche Spuren in Stralsund hinterlassen:
Carl Stabenow war Mitbegründer des Stralsunder Segelvereins, er war begeisterter Segler und ihm gehörte bis zum Kriegsende das Schiff „Möve 2“, Sohn Werner segelte die „Möve 3“. Sein Bruder Gerd Stabenow war im Ruderclub aktiv und daher stammt die enge Freundschaft mit Berthold Beitz, dem damaligen Krupp-Bevollmächtigten.
Die Söhne von Gerd, Claus und Rainer Stabenow waren Jahrzehnte im Vorstand des Ruderclubs und sind noch heute im Bootshaus anzutreffen.
Während und nach der Wende versuchte Angelika, die Frau von Claus Stabenow, in der „Gruppe der Stralsunder 20“ freie Wahlen vorzubereiten.
Claus Stabenow war schon zu DDR-Zeiten im Gemeindekirchenrat von St. Nicolai und setzte diese Tätigkeit nach der Wiedervereinigung fort. Sohn Oli hat seinen Vater im KGR abgelöst, und wenn im nächsten Jahr bei einer Mittwochsregatta eine Yacht einen Spinnaker mit einem Hiddensee-Goldschmuck-Konterfei auf Kurs ist, so darf man die Stabenows dahinter vermuten.
Rainer Stabenow hat in den 90er Jahren beim Aufbau der Stralsunder Kaufmannschaft mitgewirkt, ist langjähriges Mitglied unseres Vereins und der „Initiative Altstadt Stralsund“.
150 Jahre Goldschmiede C. Stabenow. Anfänglich durch einen Übertragungsfehler der Zeitung auf das Jahr 1872 und später auf 1874 datiert, ist die tatsächliche Gründung durch Auffinden der Gründungsannonce am 23. Oktober 1873 für alle Zeit belegt.
Conrad Busse und Dieter Bartels aus G&T 87