
Mühlenstr. 51/52

Die Ossenreyerstraße 1 oder auch das Olthofsche Palais liegt neben der Tourismuszentrale am Alten Markt. Mit dem Rathaus bildet es den Eingang in die Ossenreyerstraße – die Einkaufsstraße der Altstadt. Das rote Haus ist berühmt für den Hackertschen Tapetensaal im ersten der zwei Obergeschosse. Jakob P. Hackert hat den Raum zu dem bedeutendsten Kunstwerk des Klassizismus in der gesamten Hansestadt verholfen.
Das vierachsige Traufenhaus hatte früher die Postadresse “Am Alten Markt 2”‘ und ist im Zuge einer Umstrukturierung 1869 in ”Ossenreyerstraße 1” umbenannt worden. Das Haus steht als Beispiel für eine Kaufmannsfamilie zu Beginn des 18. Jahrhunderts.
Das Gebäude, welches heute an dieser Stelle steht, hat zwei Vorgänger, wie man am Staudeplan von 1647 deutlich erkennen kann. Ein breiteres und ein schmaleres Giebelhaus standen dort. Diese Häuser wurden im Stadtbrand von 1680 zerstört, so wie ca. 230 weitere Gebäude. Der einheimische Kaufmann Daniel Schloman, dem bereits eines der vorherigen Häuser gehörte, ließ das Haus 1691/92 wiedererrichten. Jedoch wurde aus dem Giebelhaus ein vierachsiges Traufenhaus, weil dies zur Schwedenzeit üblicher war. Für den Wiederaufbau nach den Bränden stellte die schwedische Regierung Geld (Florin) bereit und so bekam 1691 auch Schloman 250 Florin für den Wiederaufbau seines Hauses zur Verfügung gestellt.
1760 erwarb der Kaufmann Adolf Friedrich von Olthof, schwedisch-pommerscher Regierungsrat, das Haus am Alten Markt 2. Er war ein reicher und einflussreicher Mann, der 1762 auch das Herrenhaus Boldevitz (Rügen) kaufte.
Zur gleichen Zeit nahm der Kaufmann den Maler Jakob P. Hackert bei sich auf und lies ihn einen Saal im ersten Obergeschoss ausgestalten. Hackert malte auf Tapeten, die an drei der vier Wänden angebracht sind. An der vierten Wand befinden sich drei Fenster zum Innenhof. Vier der fünf Tapeten zeigen realistische Landschaften in Dresden und der Sächsischen Schweiz. Auf der Fünften ist eine Ideallandschaft mit antikem Tempel abgebildet. Die Landschaften werden jeweils von antiken Säulen eingerahmt. Der Ofen, an der Ostseite, ist nachweislich erst um das Jahr 1900 eingebaut worden. Auf dem Boden ist eine optische Illusion wie eine Art Becken zu sehen. Diese Malerei wurde aber wenige Jahre nach ihrer Fertigstellung mit einem Großtafelparkett überdeckt. Besonders bedeutend sind bei den Tapeten die Perspektiven bzw. die Anordnung der Bildgegenstände. Erstaunlich ist auch, dass Hackert nie selbst in Sachsen war um die Orte, die er gemalt hatte, selbst zu besuchen. Er musste von Erzählungen oder Bildern die Landschaften gemalt haben. Man vermutet, dass ein sächsischer Hofmeister, der zur gleichen Zeit wie Hackert bei Olthof wohnte, ihm Ortskenntnisse und möglicherwise Bildnisse mitbrachte. Auch im Gutshaus Boldevitz war er tätig. Dort verarbeitete er u.a. Landschaftsbilder von Rügen und die Silhouette Stralsunds. Anschließend zog er nach Paris um seine Karriere weiter zu verfolgen.
Da der Tapetensaal bis zu den 1920er Jahren unverändert blieb, wird sich auch nichts Wesentliches an der Architektur des Hauses geändert haben. Während der Weltwirtschaftskrise (Beginn 1929) gab es in Stralsund offenbar einen Bedarf an Wohnraum. Der Saal wurde mit Fachwerkwänden in mehrere Räume geteilt, die Decke abgehängt und die Tapeten herausgeschnitten und verkauft um ihn als Wohnung besser vermieten zu können. Die Tapeten gelangten durch das Testament des Käufers, Ludwig Justi, in den Besitz des Stralsund Museums und wurden bei der Sanierung des Hauses 1987/88 wieder an ihren ursprünglichen Ort gebracht.
Im zweiten Weltkrieg, wurde der Keller zu einem öffentlichen Luftschutzkeller ausgebaut und es erfolgte der Durchbruch der Brandmauern zu den benachbarten Grundstücken. Der amerikanische Bombenangriff auf Stralsund am 06.10.1944 beschädigte die Ossenreyerstraßen1 nur leicht an der rechten Seite der Fassade. Während das Nachbarhaus (Alter Markt 9, die heutige Tourismuszentrale) vollständig zerstört wurde. Auch als das linke Nachbarhaus (Ossenreyerstraße 2) in den 1970er Jahren brannte, kam das Olthofsche Palais ohne Brandschaden davon. Die Löscharbeiten hatten zu Folge, dass das Haus 1976 wegen Schwammbefall komplett gesperrt wurde. Erst die umfassende Sanierung im Jahre 1988 in legte den Tapetensaal frei und machte das Haus wieder nutzbar. Am 7. Oktober 1988 zog die Kinderbibliothek in das Erdgeschoss ein. Jedoch musste eine weitere Sanierung aufgrund der Verwendung eines gesundheitschädlichen Holzschutzmittels durchgeführt werden. Dabei wurde zusätzlich, um die Barrierefreiheit zu gewährleisten, ein Aufzug im Innenhof gebaut, der mit einem Glasgang mit dem ersten Obergeschoss verbunden ist. Am 3. Juni 2011 eröffnete die Welterbe-Austellung Stralsund — Wismar in den unteren Räumen.
Im Westfälischen Frieden (1648), der nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) unterzeichnet wurde, ist festgehalten, dass Vorpommern fortan zu Schweden gehörte. Somit stand die Stadt Stralsund unter schwedischer Herrschaft bis zum Wiener Kongress 1815. Nur mit einer kurzen Unterbrechung von 1715-1720 wo es unter Dänischer Herrschaft im Zuge des Nordischen Krieges stand. In Stralsund nennt man diese Zeit deshalb Schwedenzeit.
Sie brachte einen Transfer von Gelehrten, den Handel von Waren im Zuge der Hanse und viel Fortschritt durch Austausch mit. Zum Beispiel stammten der Architekt Nicodemus Tessin und der Naturwissenschaftler Carl W. Scheele aus Stralsund und gingen nach Schweden um dort zu studieren und zu arbeiten. Außerdem vermaß die schwedische Regierung die Stadt das erste Mal und erstellt den Staudeplan. Auch die Häuser nahmen sie in der “Schwedischen Landesaufnahme von Vorpommern, 1692-1709“ auf um somit die Steuerklassen unterscheiden zu können. Die Stralsunder selbst betrachteten die Zeit aber eher als Rückschlag in ihrer Geschichte und ihren Bemühungen eine unabhängige Stadt zu sein. Die Bürger mussten nun neue Steuern zahlen und waren verpflichtet an der Verstärkung der Verteidigungsanlagen mitzubauen.
Auch die Architektur in Stralsund veränderte sich maßgeblich unter schwedischer Krone. Viele ehemalige Giebelhäuser wurden nach den zwei Stadtbränden 1678 und 1680 in Traufenhäuser umgebaut bzw. neu errichtet. Das Gebäude, welches sich heute in der Ossenreyerstraße 1 befindet wurde unmittelbar nach den beiden Stadtbränden erbaut, dessen Ausmaß an Schaden heute schwer zu schätzen ist. Wie A. Grabinsky in ihrer Arbeit “Die Stralsunder Doppelkatastrophe von 1678/80“ schreibt, wurden rund 332 von 569 Häusern, 597 von 1041 Buden und 286 von 509 Kellern zerstört.
Die Einteilung in Häuser, Buden und Keller wurde durch die schwedische Regierung unternommen um die Steuerklassen entsprechend anzupassen, wobei in den Häusern die Reichsten und in den Kellern die Ärmsten wohnten. Wie viele Menschen bei den Feuern ums Leben gekommen sind ist schwer einzuschätzen, man weiß aber, dass die Bürgerrechtsbewerbungen, Eheschließungen und Taufen kurzzeitig zurück gingen, was auf ein Absinken der Einwohnerzahl hindeutet. Die Einwohnerzahl muss aber zwischen 7.000 und 8.000 gelegen haben, was die Zählungen aus dem Jahre 1677 und 1706 belegen. Die meisten Bürger die Schaden erlitten hatten, blieben in der Stadt und bauten sich ihr Haus oder an anderer Stelle ein neues Haus wieder auf. Manche Reicheren mieteten sich auch im Kloster, als Zwischenunterkunft, ein. Ob Daniel Schloman dies gemacht hat ist nicht zu belegen.
Um die Lebenssituation und den Stand in der Gesellschaft der damaligen Bewohner zu verstehen, kann man sich zuerst die Lage des Hauses genauer angucken. Das Olthofsche Palais liegt direkt im Stadtzentrum am Alten Markt – eine, auch heute noch, teure Gegend. Wer so nah am Rathaus wohnte, musste reich sein. Das Haus war also ein Bürgerhaus in dem Kaufleute wohnten. Kaufmänner gehörten, aufgrund der guten Handelsbeziehungen durch die Hanse, mit zu den reichsten Bürgern der Stadt.
Vom Erbauer des Hauses Daniel Schloman wissen wir, dass er 1676 das Bürgerrecht erworben hatte. Ernst Uhsemann schrieb 1925 zum Bürgerrecht, nach lübischem Recht, Folgendes:
„Das Bürgerrecht erfüllte seine Inhaber mit erklärlichem Stolze.
Sie waren herausgehoben aus der großen Masse der fast rechtlosen Landbewohner; sie waren befreit von allen fürstlichen Steuern, Zöllen und Kriegsdiensten; sie fühlten sich als Miteigentümer des gesamten städtischen Vermögens; sie konnten im Auslande die einträglichen Handelsvorteile ausnutzen, die der Stadt von den nordischen Reichen, von Rußland, England und Flandern zugeführt worden waren und auf allen Reisen und bei allen Unternehmungen begleitete sie in jener gefahrenreichen Zeit die beruhigende Gewissheit, daß eine stolze und mächtige Stadt hinter ihnen stand, die versorgete, schützte und sühnte.“
Hier sieht man gut, wie viele Vorteile solches Recht mit sich brachte. Um dieses allerdings zu beantragen, musste man einen gewissen Betrag a die Stadt zahlen (wie viel genau ist heute nicht bestimmbar). Dies ist ein Hinweis darauf, dass Schloman wohlhabend war, denn er hatte das Bürgerrecht zugesprochen bekommen. Außerdem war es Notwendig Eigentümer eines Grundstückes zu sein und vor dem Stadtrat einen Eid schwören. Auch wenn die Bürger allgemein vom Kriegsdienst ausgeschlossen waren, mussten sie in Notsituationen, wie sie in Stralsund nach dem Westfälischem Frieden (1648) nicht mehr so oft vorkamen, auch für die Verteidigung der Stadt einstehen.
Ein weiterer Hinweis auf den Reichtum der Bewohner, ist natürlich der Tapetensaal. Adolf F. Olthof hatte allein aufgrund seines Berufes als Regierungsrat schon eine hohe gesellschaftliche Stellung inne. Olthof war Sohn eines schwedischen Adeligen und arbeitete eine Zeit lang als schwedischer Münzdirektor, womit er viel verdiente. Zusätzlich kaufte er 1762 ein Gutshaus auf Rügen und lies seinen persönlichen Maler (Hackert) bei sich wohnen und arbeiten. Sein Lebensstandard war damit deutlich höher, als der anderer Zeitgenossen. Als sein Einkommen als Münzdirektor wegbrach, hatte er viele Schulden und starb in Armut und wurde auf dem St.-Jürgen-Friedhof in Stralsund bestattet. Seinen eigenen Reichtum durch große Kunst und viele Verzierungen zu zeigen, war typisch für die Zeit des Barocks (ca. 1600-1720).
Die Ossenreyerstraße 1 wird heutzutage, aber eher dem Klassizismus zugeordenet, auch wenn dieser seine Blütezeit eher am Ende des 18. Jahrhunderts hatte.Im Gegensatz zum barocken Baustil, beschränkt man sich im Klassizismus eher auf einfache Formen und die Nachahmung antiker Vorbilder, siehe Säulen im Taptensaa.
Die letzte nachgewiesene Nutzung als Wohnung stammt aus den 1930er Jahren. Seitdem wurde das Haus nur noch kommerziell genutzt.Heute (Stand 2024) befindet sich im Erdgeschoss die Welterbe-Ausstellung Stralsunds und im 1. und 2. Obergeschoss sind die Räumlichkeiten des Amtes für Kultur, Welterbe und Medien, geleitet von Steffi Behrendt. Den Hackertschen Tapetensaal kann man in Führungen, die jede Woche stattfinden besichtigen.
Mit seiner heutigen Nutzung bleibt die Ossenreyerstraße 1 ein wichtiges Gebäude im Stadtbild, was sich durch die Auszeichnung als Baudenkmal hervorhebt. Außerdem bekam es das Koggensiegel vom Bürgerkomitee “Rettet die Altstadt Stralsund e.V.“ verliehen.
Wenn das Haus sprechen könnte würde es vielleicht von den reichen Besitzern, ihren Familien und den Bediensteten sprechen.Oder es würde von einem Maler erzählen, der einen “normalen“ Raum in einen außergewöhnlichen, nur mit Pinsel und Farbe, verwandelt hat. Es könnte auch von den wichtigen und reichen Männern erzählen, die zwar Eigentümer waren, aber nie in dem Haus wohnten.
Text: N.M Herrmann (Klasse 11 Hansa Gymnasium)
Nach gut zweijähriger Bauzeit erstrahlt das Giebelhaus Ravensberger Straße 4, erbaut in der 1. Hälfte des 18. Jh., wieder in seiner alten Schönheit (s. Bericht S. 5). An der Rückseite schließt sich ein zweigeschossiger Kemladen mit Querflügel in Fachwerkbauweise an. Familie Maacks-Mitusch hatte dieses schwierige Objekt erworben, und wurde fachlich vom Architekturbüro Eriksson unterstützt. Bei der Sanierung wurde darauf geachtet, dass so viel wie möglich von der alten Bausubstanz erhalten blieb. So wurden die alten Paneele im Kemladen wieder angebracht, und von Herrn Thormeier wurden verschiedene Malereien restauriert. Es wurde ein Fahrstuhl eingebaut, um so 8 alters- und behindertengerechte Wohneinheiten zu schaffen.
„Alle sagten: Das geht nicht. Dann kam einer, der wusste das nicht, und hat’s einfach gemacht!“
Als das Ehepaar Mitusch 2013 das Giebelhaus in der Ravensberger Str. 4 erwarb, haben sie sicher nicht das Ausmaß der Arbeit erahnen können, das sie dann in den folgenden über zwei Jahren Bauzeit erwarten sollte. Das Gebäude war eines der letzten unsanierten Giebelhäuser der Stralsunder Altstadt und in einem erbarmungswürdigen Zustand. Doch schon bei einer von mir frühzeitig durchgeführten ersten Befunduntersuchung zeigte sich, dass sich in vielen Bereichen des Hauses wertvolle historische Zeugnisse verschiedener Bauphasen erhalten haben. Dieses setzte natürlich die Bauherren und Architekten unter großen Druck, große Verantwortung für das Kulturgut wurde voraus gesetzt. Nach Planung des begleitenden Architekturbüros Eriksson sollen sieben hochwertige Wohnungen entstehen, die alle modernstem Standard entsprechen. Gleichzeitig mussten aber auch die Auflagen der Denkmalpflege berücksichtigt werden. Dieser Kompromiss ist, dank der einfühlsamen Herangehensweise der Fam. Mitusch auf wundersame Weise gelungen. So ist nach der Sanierung noch der gesamte Flur und Treppenhausbereich in seiner historischen Struktur und Erlebbarkeit, inklusive der Treppe vom Anfang des 19. Jh., im Erd- und 1. 0bergeschoss, erhalten. Alle Raumstrukturen in der sogenannten Belletage sind sichtbar belassen und es wird von allen aufgedeckten historischen Wandund Deckenfassungen vom 18.–20. Jh. wenigstens eine Befundachse gezeigt.
Besonders im 1. Obergeschoss spürt man in der Haupthauswohnung im hofseitigen Raum, dem ehemaligen Saal, noch die Geschichte des Hauses. Nach dem großen Stadtbrand 1680 lag auch das Gebiet um dieses Baugrundstück in Schutt und Asche. Erst nach und nach ging es mit dem Wiederaufbau in der Stadt voran, sodass hier 1726 das städtische Syndikathaus, ein Giebelhaus mit hoher Diele, errichtet wurde. Mehrere bekannte Persönlichkeiten der Stadt wohnten hier in der Folgezeit, wie z.B. Christian Ehrenfried von Charisius (Landrat 1747-1770) oder Dr. Paul Langemak (Ehrenbürger der Stadt 1876-1912). Noch im 18. Jh. wurde diese Diele aufgegeben und zum Ende des 18. Jh. entstand im OG dann der heute noch erhaltene Saal. Auf den Wandflächen dieses Saales hat sich, unter diversen Tapetenlagen eine aufwendige Wandgestaltung aus der Entstehungszeit erhalten. Auf mehreren raumgliedernden Medaillons sind gemalte Landschaftsdarstellungen mit Tempelruinen erkennbar, ein typisches Motiv in der Zeit der Aufklärung um 1800. Vergleichbar in Stralsund ist dieser Raum sicher mit dem Hackertschen Tapetensaal, wenn auch dieser in einem besserem Zustand erhalten ist. Bei der erfolgten Sanierung wurde eine Landschaftsrotunde freigelegt, gereinigt und teilweise retuschiert, um einen Eindruck der ehemaligen Saalgestaltung erlebbar zu machen. Ebenfalls eine Besonderheit finden wir im 1. Obergeschoss des Kemladens. Hier entstand in der Mitte des 19. Jh. ebenfalls ein Saal, von dem die Struktur und auch auf zwei Wandflächen die historische Wandfassung erhalten blieb. Diese aufwendige mehrfarbige Schablonenmalerei konnte restauriert und teilweise rekonstruiert werden und ist heute ein Blickfang in dieser Wohnung.
Wolf Dieter Thormeyer
Architektin Frau Jenner stellte den ehemaligen Speicher Papenstraße 25 aus der Mitte des 19. Jh. vor. Er wurde von Familie Mann 2010 erworben, und man begann 2012 mit der Sanierung. Das Besondere sind der stichbogige Eingang und die rundbogige Tordurchfahrt zum Hof. Bei Altstadtsanierungen gibt es immer Überraschungen, so auch hier. Der erhaltenswerte Giebel aus Klosterformatsteinen hatte Risse und musste abgetragen werden. Die Stützen und die Fachwerkwand brauchten neue Fundamente. Es wütete der Hausschwamm, und im Hof wurde eine Granate aus dem 1. Weltkrieg gefunden. Der Speichercharakter blieb erhalten, und es entstanden vier großzügige Wohnungen.
Die Sanierung der Jacobiturmstr. 32 wurden vom Bauherren Herrn Ernst und der Architektin Frau Kottke begleitet. Das langgestreckte Traufenhaus mit drei Geschossen ist mittelalterlichen Ursprungs. Es erfolgten in den Jahrhunderten mehrere Umbauten. In diesem Zuge entstand auch das Renaissanceportal, welches mit Hilfe unseres Vereins restauriert werden konnte. Aus dem 19. Jh. sind historische
Bauteile erhalten, wie die Eingangstür, die Terrakotten, das Treppenhaus und Nischen im Mauerwerk. Die drei verschiedenen Gebäu deteile erhielten ein durch gehendes Dach, und die vier Gauben wurden an die alten Stellen gesetzt. Auch die Hoffassade mit sichtbarem Mauerwerk wurde nach historischem Vorbild wieder hergestellt. In den schmalen Gebäudeteilen entstanden kleine Wohneinheiten. Der reizvolle Innenhof wird von den Mietern und auch von der Stadtbibliothek genutzt. Herr Ernst bedankte sich bei der Unteren Denkmalbehörde für die gute Zusammenarbeit.
Der Bauhistoriker Frank Hoffmann, der vor der Sanierung der Langenstraße 23 eine umfangreiche Dokumentation über den Zustand und die Geschichte des Hauses erstellt hatte, schrieb: „Das Gebäude ist der letzte Teil einer Gruppe von drei barocken Giebelhäusern, … die nach der Zerstörung durch den Beschuss 1678 (durch den großen Kurfürsten) und nach dem großen Stadtbrand 1680 in den Folgejahren wieder aufgebaut wurden. Die beiden Nachbarhäuser sind innerhalb der letzten 30 Jahre bereits zu unterschiedlichen Zeiten abgetragen worden.“
Früher war es ein zweigeschossiges Giebelhaus mit Volutengiebel aus dem Mittelalter – noch zu erkennen im Kellerbereich, im Erdgeschoss und in den Brandmauern. Reste sind auf dem Staudeplan von 1647 zu sehen und wurden 1680 beim Wiederaufbau verwendet. Der Tischler Heinrich/ Hinrik Broder kaufte das Haus und baute es im barocken Stil wieder auf. Er vererbte es seinem Sohn, Hans Broder, der ein bekannter Kunsttischler und Bildhauer wurde (möglicherweise ein Enkel von Hans Lucht, Erbauer der Kanzel in der Jakobikirche). Bekannte Arbeiten von ihm sind die Altaraufsätze in Brandshagen und Zudar (1707), die Kanzeln in den Rügener Kirchen St. Petri in Garz und u. a. in Schaprode (1722); dort schuf er ebenso einen Beichtstuhl zusammen mit dem Maler E. Rose.
Zwischen 1767 und 1802 wurde das Haus mehrfach umgebaut, verschönert und erfuhr dadurch eine Wertsteigerung um das fünffache von 700 auf 3800 Reichstaler. In den folgenden Jahren besaßen – laut Stadtarchiv – ein „Pelzer, ein Perückenmacher und ein Goldschmied“ das Haus. Um 1901 erfolgte ein Umgestaltung der Fassade, bei dem der barocke Charakter der Fassade stärker herausgearbeitet wurde.
1945 war die Pommersche Eisengießerei Besitzer; es erfolgten keine großen baulichen Veränderungen mehr.
Nach dem Krieg wurde es als Wohnhaus genutzt und verfiel nach der Wende zunehmend, wurde nur durch ein „Stützkorsett“ in allen Geschossen am Zusammenbruch gehindert.
Das Bürgerkomitee Stralsund, welches alle erhaltenswerten Denkmale katalogisierte, bezeichnete es als „schönste Ruine Stralsunds“.
So kaufte mein Sohn 2010, der zwar in Bayern lebte, aber eine Mutter hatte, die auf Rügen geboren wurde, und als Kind oft die Schulferien in Stralsund verbrachte, diese Ruine.
Er wusste noch nichts von den bekannten Vorbesitzern, hatte jedoch die Vision, das alte Haus „aus dem Dornröschenschlaf zu erwecken“ und seinen Beitrag an der Wieder-auferstehung Stralsunds zu leisten (Ich als Mutter habe ihn unterstützt, sein Geld in Stralsund, der Stadt, die es als Weltkulturerbe wert sei und die ich sehr liebte, zu investieren.)
Ich war 2002 aus Bayern in die Nähe von Stralsund gezogen, hatte den ehemaligen Bauernhof meines Großvaters nach der Wende zurückbekommen und mit viel Liebe restauriert. Diese Erfahrung beflügelte mich, meinen Sohn zu ermutigen, die Ruine zu retten. Wir wussten beide nicht, was auf uns zu kam, hatten das Haus zunächst nur von außen gesehen. Nachdem mein Mann und ich das Innere in Augenschein genommen, d.h. uns durch das Stützkorsett hindurchgezwängt hatten, verließ uns zunächst der Mut. Ich hatte meinem Sohn angeboten, ihn vor Ort zu unterstützen bzw. als Bauherren zu vertreten. Wir kamen uns vor wie Archäologen, die in einer Grabkammer auf den Spuren der Jahrhunderte nach Schätzen suchten, was mich aber immer mehr faszinierte. So wollte auch ich meinen Beitrag zur Erweckung des Dornröschens leisten; meinen Mann hatte ich auch als Fotografen an meiner Seite.
Nachdem ich den Architekten Herrn Reimann und sein Team gefunden hatte, machte er erste Entwürfe für die Gestaltung des Hauses. Jedoch im ersten Schritt wurde zunächst erst einmal nur abgerissen und das zu Erhaltene freigelegt. Die Archäologen begannen im Kemladen (früher Arbeits- und Wohnräume) zu buddeln und gruben schöne Keramikfragmente frei; es hatte dort wohl ehemals ein Töpfer seine Werkstatt.
Dann übernahmen die Denkmalpflege und später der Brandschutz (Herr Beyer bescherte uns z.B. auch einen „Stadtbalkon mit Yachtreling“ als Rettungsweg im Dachgeschoss) mit vielen Auflagen die Baustelle. Zu guter Letzt mussten leider noch viele Pfähle für die Gründung in den Boden gebohrt werden, eine aufwendige und kostspielige Sache. Aber noch nicht genug damit, der Holzgutachter Herr Metzner schockte uns noch mit der Mitteilung, im Holz und im Mauerwerk sei der Schwamm; folglich mussten die Außenmauern alle 30 cm mit einer Flüssigkeit geimpft werden. Manchmal verlies mich der Mut und ich hatte Mühe, meinem Sohn wieder etwas von Mehrkosten und Zeitverzögerung zu sagen. Aber wir bekamen Hilfe von der SES, die einige Fördermittel zum denkmalgeschützten Haus weitergab.
Spannend war auch der Keller des Hauses in 3 Schichten übereinander. In einer Schicht fanden wir noch einen Amboss und Reste von Eisen. In der mittleren Fußbodenschicht gab es Feldsteine und dazwischen 3 Kanonenkugeln, die ich gerettet habe. In der letzten Kellerschicht hinter einer Brandwand zeigte sich ein Hohlraum, zunächst wie ein Wandschrank. Nachdem mehrere Schichten freigelegt waren, entdeckten wir einen Gang/ Geheimgang, der am Ende des Kemladens nicht weiter zu verfolgen war. Herr Hoffmann meinte, es sei möglicherweise ein Fluchtweg oder Notausgang.
Als alles entkernt war, konnten wir vom Keller über 4 Etagen bis ins Dach in den Himmel gucken. Die Balken waren noch zu gebrauchen, die Dachziegel retteten wir ebenfalls.
Der Kemladen sollte erhalten bleiben, d.h. nur die 2 alten Mauern aus dem Mittelalter mit Rundbögen; dort hinein wurde ein Neubau über 2 Etagen errichtet.
Geplant waren insgesamt 6 Wohnungen, von Nord nach Süd ausgerichtet – nur dort konnten die alten Fensteröffnungen wieder hergestellt werden, da rechts und links sogenannte Brandwände waren; in diese durften auch heute keine Fenster eingebaut werden. Das Architektenteam stand vor der Herausforderung, trotzdem genug Licht in die Wohnungen zu bringen, da nur im Dachgeschoss Dachfenster für genügend Helligkeit sorgten. Dafür hatte aber jede Wohnung einen schönen Balkon erhalten; es gab sogar eine große Dachterrasse zur Südseite in einer Wohnung der – Beletage – (mit Blick auf die Marienkirche), in der Herr Thormeier, noch schöne alte Tapetenreste fand. Diese hängen nun von ihm restauriert im Treppenhaus.
Natürlich ging nicht alles glatt, von gestohlenen Schornsteinköpfen über Lieferschwierigkeiten, Estrich, der nicht rechtzeitig getrocknet war und vieles mehr. Trotzdem lagen wir gut im Zeitplan, wollten im Frühsommer 2012 die Wohnungen fertiggestellt haben. Die ersten Mieter sollten einziehen.
Dann die 1. Katastrophe: ein Wassereinbruch vom Nebengebäude überflutete eine Wohnung im 1. Stock, in der grade der neue Parkettfußboden gelegt worden war; das bedeutete noch eine längere Verzögerung und erneute Trocknung. Damit aber nicht genug, etwas später war nach einem Starkregen auf der schönen Dachterrasse im 2. Stock ein Schwimmbad: das flexible Abflussrohr war von Handwerkern vergessen worden, wieder in die Regenrinne zu stecken.
Aber am 1. Juli 2012 konnte Familie Fromme als erste Mieter einziehen – durch ein allerdings noch unfertiges Treppenhaus.
Danke an Herrn Reimann und die Baufirmen, die wohl alle Blut geleckt hatten und sich mit großem Eifer in die manchmal unlösbar scheinende Aufgabe stürzten.
Mein Sohn hatte auch das Nachbargrundstück kaufen müssen und wagte sich einige Monate später daran, diese Kellerruine ebenfalls zu bebauen: die Langenstraße 24 / Ecke Jacobichorstraße.
Nach so guten Erfahrungen waren natürlich auch Herr Reimann und die Baufirmen wieder mit im Boot. Nach vielen Entwürfen (Es musste eine passende Ecklösung gefunden werden, zumal die Jacobichorstraße eng und schmal war) war die Planung für 4 Maisonette-wohnungen fertig. Das I-Tüpfelchen kreierte Herr Reimann, indem er durch eine Außentreppe beide Häuser miteinander verband – licht und offen – und so den Zugang zu den einzelnen Etagen des neuen Hauses ermöglichte. Alt und Neu wurden so zu einer Einheit zusammengefügt und der Gestaltungsbeirat stimmte Lobeshymnen an.
Es entstanden 4 „Häuser“ in einem Haus (wie ein Legosystem). Jedes hatte eine Etage mit Balkon/ Dachgarten und eigenem Eingang. Ich hatte die Idee, einen kleinen Innenhof mit einem Hausbaum in der Mitte der beiden Häuser zu gestalten; hier konnten sich die Bewohner zum gemeinsamen Treffen und Grillen treffen.
Auch in diesem Haus hatte jede Wohnung einen Keller, in dem das Mittelalter zu erkennen war. Das ganze Ensemble war wie 2 Würfel – nur zum Platz der Eisengießerei hin offen, mit einem bepflanzten Stahlzaun begrenzt. Zur Jacobichorstraße gab es große durchlässige Schiebetüren (Ich hatte sie in Schweden gesehen und war begeistert.), hinter denen sich 2 überdachte Parkplätze befanden.
Nach ca. einem Jahr – 2014 – war auch das 2. Haus fertig und das Eckgrundstück Langenstraße/ Jacobichorstraße war geschlossen, das Kunststück geglückt: „Neues Wohnen in alten Mauern“.
Mein Sohn war sehr mit den Häusern und ihrer Entstehungsgeschichte verbunden, reiste immer wieder von Erlangen nach Stralsund, um Entscheidungen zu treffen und den Baufortschritt zu erleben.
Ich denke, er hat sich mit diesen Häusern ein „Denkmal“ gesetzt. Alle Menschen, die die „Erweckung des Dornröschens“ (seine Worte bei der Koggensiegelverleihung) mitgestaltet und miterlebt haben, werden diese besondere Geburt nicht vergessen. Ich habe sie mit Leib und Seele begleitet.
Mein Sohn Dirk Heidenreich starb 2023 in Erlangen.
Karin Heidenreich-Lemmel
Schwedenspeicher